Was tun wir im Himmel?

Auf diese Frage werden viele Leute, auch fromme, antworten, das könnten wir nicht wissen und würden es erst im Himmel erfahren. Doch das ist voreilig. Paulus z. B. schreibt in seinem ersten Brief an die Korinther: „Jetzt schauen wir Gott wie durch einen Spiegel, rätselhaft, dann aber von Angesicht zu Angesicht“ (13,12).

Die Gottes-Schau versetzt die Seelen in einen Zustand unbeschreiblicher Seligkeit, der mit nichts zu vergleichen ist. Denn wir sind so geschaffen, daß uns das größte Glück nur durch Schauen zuteilwird, nicht durch Handeln oder Genießen. Der griechische Philosoph Aristoteles (um 400 v.CHR.) sagt: „Das Sehen ziehen wir allem vor.“ Wer zwischen Sehen und Hören wählen müßte, würde ohne Zögern das Sehen wählen. Mancher meint, das ewige Sehen sei langweilig. Doch das ist falsch. Schon beim Anschauen eines Sonnen-Aufgangs im Gebirge oder am Meer wünscht jeder insgeheim, das Schauen möge nie enden. Bereits in diesem Leben gibt es eine Vorahnung der ewigen Anschauung Gottes: In den Augen eines Kindes, in einer schönen menschlichen Gestalt, im Sternen-Himmel usw.

Goethe sagt einmal, daß wir des Schauens bedürften. Wenn aber des Schönen, dann auch Gottes. Denn Gott ist der Inbegriff des Schönen. Auch in einem Kunstwerk ahnen wir etwas von der Schönheit Gottes. Die moderne Kunst aber hat diesen Weg verbaut. Sie gibt uns nicht, was wir von ihr erwarten. Und darum lehnen viele sie ab. Schauen ist kein Tun, kein Erleiden. Deshalb sind wir beim Schauen hoch aktiv und hoch konzentriert. Beim Schauen begreifen wir mit größter Sicherheit: Das ist es, was wir eigentlich und immer wollten. Wir sind auf Schauen angelegt, nicht auf Handeln.

Die zunehmende Zerstörung der natürlichen Umwelt, die Verhäßlichung der Städte durch moderne Bauten, die atonale Musik, der Funktionalismus moderner Kirchen usw. verhindern die Vorahnung ewiger Freude. Wie durch einen geheimen Zwang drängt die Welt immer weiter in die Gottes-Ferne. Und man kann da wohl von einer dämonischen Gesetzmäßigkeit sprechen. Die alten Griechen wußten noch, daß Gott ein Wesen von faszinierender Schönheit ist und der Mensch auch darin sein Ebenbild. Deshalb haben sie die Götter als ideale Menschen-Gestalten in Marmor dargestellt. „Das Höchste, was uns vom Altertum übrigblieb.“ (Goethe)

Himmel bedeutet: sich nicht sattsehen können an Gottes Angesicht. Und schon auf Erden gibt es ferne Abbilder Gottes und Vor-Ahnungen der ewigen Freude.              
Werner J. Mertensacker  

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