“Sind Sie verwirrt?“ fragt mich mein Gesprächspartner, als ich erkläre: „Kranke sind die kostbarsten Menschen.“ – „Alle Welt will zuerst gesund sein. S i e sind nicht krank. Darum können Sie auch, was Kranke angeht, gar nicht mitreden. Und ausgerechnet Sie behaupten, Kranke seien am kostbarsten. Wie meinen Sie das?“
„Zunächst meine ich zufriedene Kranke. Die sagen ein tapferes Ja zu den Schwierigkeiten, die ihnen auferlegt sind: Schmerzen, Schlaflosigkeit, Behinderungen, Altersbeschwerden, ständig um Hilfe bitten und viel Geduld aufbringen zu müssen.“ – „Wer kann dazu schon gern ein Ja sagen? Möchte nicht jedermann gesund sein?“ – „Eines Tages stoßen wir alle an unsere Grenzen“, antworte ich. „Dann zählt vor allem die innere Zufriedenheit.“ – „Gibt’s die denn?“ fragt mein Gesprächspartner. „Sie meinen wohl Essen und Trinken, gute Fernseh-Programme, einige Reisen, behaglich wohnen…“. – „Nein, ich meine das Herz. Die innere Zufriedenheit trotz allem.“ – „Und die sollen ausgerechnet Kranke haben?“
Ein Herz für Leidende
„Lassen Sie mich zurückgehen bis ins 12. Jahrhundert“, schlage ich vor. „Damals wirken die ‚Hospitaliter vom heiligen Johannes‘. Diese Hospitaliter bringen zuerst den Armen zu essen, bevor sie selber speisen. Abends fordern die Johanniter im Krankensaal zum Gebet auf. In jedem Kranken sehen die Hospitaliter den für uns leidenden Jesus. Sie sind überzeugt, daß Gott zuerst auf Seinen Sohn blickt und auf diejenigen, die ihm ähnlich sind.“
Wahre Seligkeit
Seelische Krankheiten, auch Schuldgefühle oder Enttäuschungen, können manchmal noch schmerzlicher sein als körperliche Beschwerden. Nur durch tiefes Vertrauen zum gerechten, liebenden Gott sind solche Schmerzen zu heilen. Was die wahre innere Seligkeit ausmacht, zeigt Jesus am stärksten in seiner berühmten Bergpredigt. Immer geht es darum, daß Gott allein die letzte innere Leere füllen kann und unseren Hunger nach Gerechtigkeit, letztlich nach Gott, eine Sehnsucht, die hinter wohl allen Süchten steckt. Trauer und Reue führen zu GOTT. Wir dürfen dann das Herz rein öffnen, hin zur Anschauung Gottes. Das Maß der Barmherzigkeit weit fassen: Sogar Verfolgung innerlich annehmen, um auch den Angreifer zu retten. Denn diese Art des Leidens mit Jesus macht selig, auch wenn wir das alle nur schwer begreifen können.
Der größte Leidende
Zur Zeit Seines Erdenlebens wird Jesus verfolgt und bedrängt. Manchmal kann ER eine Zeitlang bestimmte Gebiete Israels nicht mehr betreten. Schon aus Seinem Geburtsort Bethlehem muß ER vor Herodes’ Schergen in Sicherheit gebracht werden. In Seiner Heimatstadt Nazareth wollen sie IHN steinigen, weil ER unbequeme Wahrheiten auftischt. Immer ist ein Verräter unter Seinen Aposteln, den Jesus, der Gott-Mensch, durchschaut. Sogar Seine eigene Verwandtschaft bedrängt den Wanderprediger inmitten der Strapazen seiner unermüdlichen Bußrufe: „Kehrt um! Und glaubt an das Evangelium!“ (Markus 1,15). Dann der Andrang des Volkes, all derer, die Heilung suchen.
Vorsprung der Kranken
Kranke Menschen begreifen das eher. Sie spüren unsere menschliche Begrenztheit am eigenen Leib. Auch wer schuldig geworden ist, vielleicht aus Leichtsinn, wird, wenn er das zugibt und bereut, besser den Sinn des Leidens erkennen: Gott will uns reifen lassen bis auf den Kern unserer Seele, zu ihm hin. Selbst-Hingabe ist schon im Wesen des dreieinigen Gottes erkennbar. So muß Selbstlosigkeit auch im Wesen der Geschöpfe liegen: Einer lebt vom anderen. Wer im Leid keinen Sinn sucht, verschließt sich, verbittert, weil alles für ihn sinnlos wird. Doch von manchen Krankenbetten geht mehr Trost aus als von manchen gesunden, nur selbstbezogenen Menschen.
Pfr. Winfried Pietrek
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