Wer heute die Wahrheit sagt und sie mit klaren Worten sagt, sieht sich leicht dem Vorwurf ausgesetzt, er störe den sozialen Frieden.
Da wird etwa gesagt, die Wahrheit provoziere und polarisiere, erzeuge Feindschaft und Haß, entzweie Freunde, Eheleute und Familien, mache herrschsüchtig und fanatisch, spalte die Gesellschaft, verhindere die Ökumene, wenn sie auf den Unterschieden zwischen den Religionen und Konfessionen bestehe usw. Dahinter steht die Überzeugung, der soziale Friede sei das höchste Gut, dem alles andere untergeordnet werden müsse, auch die Wahrheit. Das ist eine gefährliche Irrlehre.
Wahrheit, das höchste Gut
Tatsächlich: Die Wahrheit stört. Sie stört die Herrschaft von Lüge und Täuschung im privaten und öffentlichen Leben. Sie stört die Lügenpresse und den Lügenfunk. Sie stört Ideologen und falsche Propheten bei ihrem verderblichen Tun. Sie stört die Wölfe im Schafsfell. Sie stört die Mächtigen in Politik und Gesellschaft, wenn sie eigene Vorteile auf Kosten der Allgemeinheit verfolgen usw. Wohl ist der soziale Friede ein hohes Gut, doch nicht das höchste.
Das höchste Gut ist die Wahrheit. Und da stehen die Glaubens-Wahrheiten an erster Stelle. Um sie geht es, wenn der GOTTES-Sohn mit atemberaubender Radikalität verkündet: „Glaubt nicht, ICH sei gekommen, den Frieden auf die Erde zu bringen. Nicht den Frieden zu bringen, bin ICH gekommen, sondern das Schwert.
Ja, ICH bin gekommen, den Sohn mit seinem Vater zu entzweien, die Tochter mit ihrer Mutter, die Schwiegertochter mit ihrer Schwiegermutter. Und des Menschen Feinde werden seine eigenen Hausgenossen sein“ (Mt 10,34 f). Und für uns alle gilt, was der HERR zu Paulus sagt: „Fürchte dich nicht. Rede und schweige nicht. ICH bin bei dir“ (Apg 18,9).
Wahrheit muß gesagt werden!
Weil der Friede heute das höchste, allgemein anerkannte Gut ist, ist es gefährlich geworden, störende Wahrheiten zu sagen. Nachteile aller Art drohen: Sachbeschädigungen, verbale und tätliche Angriffe, und bei politisch unerwünschten Wahrheiten auch Geldstrafe oder Gefängnis. Schon sind viele Enthüllungs-Journalisten ermordet worden. Manchmal fordert die Wahrheit den höchsten Preis. Dennoch: Die Wahrheit muß gesagt werden, wenn es nötig ist, privat und öffentlich.
Es gibt eine Pflicht, die Wahrheit zu sagen. Denn sie ist die enthüllte Wirklichkeit selbst. Da darf es keine falsche Rücksichtnahme geben. Das wäre Verrat an der Wahrheit und den Menschen, die ein Recht auf die Wahrheit haben, wenn davon auch nichts im Grundgesetz steht. Zwar stört die Wahrheit dann den Frieden, aber einen faulen Frieden, der nur den Schurken nützt, aber nur vordergründig.
Werner J. Mertensacker